Osternacht

Ich bin kein frommer Mensch. Die klassische christliche Frömmigkeit, die sich in regelmäßigem Kirchgang, mausgrauem Gebärden und Papsttreue äußert, finde ich im besten Falle niedlich, ansonsten eher albern. Trotzdem bin ich christlich, genauer gesagt katholisch geprägt und trotz unglaublich vieler Kritikpunkte am System Kirche derselben doch irgendwie verbunden. Zumindest an den hohen christlichen Feiertagen gehört der Kirchenbesuch – und zwar in einer „ordentlichen“ Messe, nicht nur in einer Dreiviertelstundenkinderandacht – für mich dazu. Und dieses Jahr habe ich es organisatorisch endlich mal wieder geschafft, in eine Osternacht zu gehen. Ich bin kein Frühaufsteher, beileibe nicht, aber am Ostersonntag lasse ich meinen Wecker freiwillig um vier Uhr morgens klingeln. Um halb sechs begann der Gottesdienst in einer mir bis dato unbekannten, aber freundlichatmosphärischen Kirche mit einem Pfarrer, der leider nicht besonders gut singen konnte, aber ansonsten alles sehr nett gestaltete. Und ich liebe diesen besonderen Gottesdienst: Man kommt im Dunklen an, alle Lichter sind aus, nur das Osterfeuer im Hof brennt. Mit feierlichem Tamtam wird die Osterkerze daran entzündet und das Feuer nach und nach an die kleinen Kerzen aller Gäste weitergegeben, und wenn schließlich alle in der Kirche sitzen, leuchtet darin immer noch keine einzige Glühbirne, aber lauter kleine Flammen schaffen eine erwartungsvolle Stimmung. Es gibt Lesungen, die jedes Jahr die selben sind, aber doch immer wieder gern gehört werden, und Musik nur a capella, weil die Orgel noch stumm bleibt. Und dann, kurz bevor man aufgrund der frühen Stunde und der Dunkelheit am Einnicken ist, kommt der schönste Moment: Beim feierlichen Gloria gehen die Lichter an, die Glocken läuten festtäglich und die Orgel setzt mit ihrer ganzen Klangfülle ein. Es hat etwas Erhebendes und vermittelt tatsächlich ein euphorisierendes Gefühl von Zusammengehörigkeit, selbst wenn man keinen einzigen Menschen in der ganzen Kirche kennt. Diese seltenen Augenblicke sind tatsächlich einer der Hauptgründe dafür, noch nicht aus der Kirche ausgetreten zu sein, auch wenn ich mich lieber lediglich auf „christlich“ als auf „katholisch“ festlegen würde. Christentum ist an sich eine fabelhafte Idee, aber in der praktischen Ausführung hapert es gewaltig. Ob Jesus wohl klar war, welche gigantische Institutionen einmal aus seiner Lehre entstehen würden? Wahrscheinlich hätte er sich dann gleich resigniert zurückgezogen. Sein Konzept war sicher prima für eine kleine Gruppe Menschen, aber in den heutigen Dimensionen verfehlt es zum größten Teil sein Ziel. Deshalb werde ich weiterhin meiner persönlichen ethisch-religiösen Vorstellung, einer Art christlich orientiertem Humanismus mit buddhistischen Einflüssen, treu bleiben, an der Kirche herumkritteln und sie trotzdem ab und zu besuchen: Die Katholiken haben einfach die beste Show.

4 Kommentare zu “Osternacht

  1. Ich habe immer überlegt wie ich mein Verhältnis zu Glaube und Kirch am besten beschreiben könnte. Deine Formulierung „christlich orientiertem Humanismus mit buddhistischen Einflüssen“ trifft es sehr gut. Ich werde auch weiterhin „an der Kirche herumkritteln“. Mit den Besuchen hapert es, aber die „Katholiken haben einfach die beste Show.“

  2. Du weißt aber schon, dass Ostern ein altes germanisches Fest gewesen ist? Die Kirche hat das wie viele andere „heidnische“ Bräuche einfach verchristlicht. Dumm ist anders. 😉

    Aber in Kirchen war ich trotz meines buddhistischen Glaubens schon. Die „Show“ ist wirklich besser. Vor allem, wenn es Konzerte in Kirchen gibt.

    • Klar, das weiß ich. Man kann ja schon stutzig werden beim Datum – ein vermeintlicher Todes- und Auferstehungstag, der variabel ist und sich nach den Mondphasen richtet? Das macht erst Sinn, wenn man vom Ursprung in Fruchtbarkeitsriten weiß.

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